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          IGSS - Institut für Gemeinwesen-Struktur –Sozialanalyse

An die

Wiener Linien

Betr. : Fahrkartenentwertung

Sehr geehrte Direktion !

Sie betreiben im Bereiche der Strassenbahnlinien und in Zusammenarbeit mit den ÖBB im Verkehrsverbund auch Schnellbahneinrichtungen, Bahnhöfe und Waggons für Personenverkehr, in denen sogenannte „Fahrkartenentwerter" montiert sind.

Die Fahrgäste werden durch Aufschriften aufgefordert, vor Antritt der Fahrt ihre bereits im Besitze befindlichen Fahrkarten ganz oder teilweise zu entwerten, beziehungsweise auch mit frisch erworbenen Fahrausweisen in gleicher Weise vorzugehen.

Diese Aufforderung ist mit der Androhung einer Verwaltungsstrafe bzw. einer Erhöhung des Fahrpreises verbunden.

Das Problem, welches derzeit in unserem Institut diskutiert wird, besteht nun darin, daß Sie mit dem Begriff „Entwertung" einem Trend der gesellschaftlichen Entwicklung folgen, der in immer weiteren Bereichen des Sozialen Lebens bedenkliche Auswirkungen zeigt.

Es ist nahezu unverantwortlich, diesen Trend durch die Aufforderung zu weiteren „Entwertungen" zu unterstützen, zu Entwertungen, die Ihre Fahrkunden womöglich täglich mehrmals unter Strafbedrohung durchführen sollten.

Einerseits sollen diese Kunden etwas kaufen - nämlich die Fahrkarte - und noch vor dem Gebrauche bereits wieder entwerten, da sie diese erst nach der Entwertung gebrauchen dürfen.

Dieser Vorgang entspricht psychoanalytisch der Kindesweglegung nach der Geburt, was zu immensen, aber unbewußten Schuldgefühlen führt, wie wir sie bei der postpartalen Depression klinisch kennen.

Diese confusio mentis kann also durchaus zu mikropsychotischen Konflikten führen, die im Unbewußten der Kunden, die im Eigentlichen nunmehr „Patienten" genannt werden müssten, beträchtliches Spannungspotential aufzubauen geeignet sind.

So mancher amokähnliche Aggressionsdurchbruch, der meist unverständlich erscheint, kann nach unserem Ermessen auf diese Mikrotraumata zurückzuführen sein.

Darüber hinaus ist es fragwürdig, ob die leichtfertige tausendfache Aufforderung zu Entwertungen der „political corectness" entspricht, zu der uns auch die EU in ihrer Grundverfassung verpflichtet.

Nur ergänzend und am Rande soll auch erwähnt werden, daß der Stadtschulrat für Wien in einer seiner letzten Aussendungen an die Lehrerkonferenzen ausdrücklich vom Aufbau einer Wertewelt bei den Jugendlichen spricht.

Wir ersuchen daher aus den obgenannten Gründen um eine Umbenennung der sogenannten „Entwerter" in Ihrem Wirkungsbereich. Wir würden Bezeichnungen wie „Stempelautomat" oder „Markierungsgerät" – aber auch ähnliche Bezeichnungen gerne akzeptieren.

Unsere Mitarbeiter haben sich zwischenzeitlich dem Konflikt durch Lösung von Jahreskarten entzogen, da mit diesen keine Aufforderung zur „Entwertung" verbunden sind.

Wir danken für Ihre Mühewaltung bei der Lösung des Problems

und zeichnen mit besonderer Wertschätzung

Harald Picker

Leiter des Instituts

                   
                               
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